Antithese


             
       
 
 
       
       
 
  Grammatik / Antithese
   
     
   
     
     
 

Die letzte Gruppe von stilistischen Verbindungs­möglichkeiten zwischen einzelnen Wörtern, Wortgruppen, Sätzen und Absätzen bilden Parallelismus und Antithese.

Durch den Parallelismus mit seiner einförmigen Wie­derholung gleichartiger, im Gleichgewicht schwebender Glieder wird ein hohes Maß von Eindringlichkeit erzielt. Unter Parallelismus verstehen wir die symmetrische Stellung gleichartiger Satzglieder oder ganzer Sätze, meist verbunden mit Wiederholung:

'S reitet ein Büblein über den Graben,
Wenn er 'neinfällt, muß er's haben.
Fällt er in den grünen Klee,
So schreit er: O weh! o weh!
Fällt er in die Hecken,
Fressen ihn die Schnecken.
Fällt er auf die Steine,
Tun ihm weh die Beine.
Fällt er in den Graben,
Fressen ihn die Raben.
Fällt er in den Sumpf,
Macht er einen Plumpf.
(Kinderlied.)

Der syntaktische Parallelismus, verbunden mit Wieder­holung, entspricht dem natürlichen Bedürfnis des Kindes nach Rhythmus und Symmetrie. Die beruhigend-sugge­stive Wirkung des Parallelismus wird in Kinderreimen und Wiegenliedern ausgewertet.

Der Parallelismus als Wiederholung der gleichen Satz­konstruktion in mehreren Sätzen hintereinander verleiht dem Gesagten gleichmäßige Satzmelodie. Auf diese Weise entsteht das ebenmäßige Gerippe der Strophen in Heines Prolog zur „Harzreise":

Auf die Berge will ich steigen,
Wo die frommen Hütten stehen,
Wo die Brust sich frei erschließet
Und die freien Lüfte wehen.
Auf die Berge will ich steigen,
Wo die dunkeln Tannen ragen,
Bäche rauschen, Vögel singen
Und die stolzen Wolken jagen.

Dank dem Zusammenwirken von symmetrischer Satz­konstruktion und ebenmäßiger Satzmelodie (dazu häufig noch wörtliche Wiederholung) bewirkt der Parallelismus in sämtlichen Stilarten — trotz verschiedenster Sprechsitua­tion—Eindringlichkeit und Einprägsamkeit.

Es ist daher nicht verwunderlich, daß gerade die wissenschaftliche Prosa diesen Stilgriff als Mittel der Überzeugungskraft verwendet. Ein Beispiel für viele:

Die Bauernschinderei durch den Adel wurde mit jedem Jahr weiter ausgebildet. Die Leibeigenen wurden bis auf den letzten Blutstropfen ausgesogen, die Hörigen mit neuen Abgaben und Leistungen unter allerlei Vorwänden . und Namen belegt. Die Frohnden, Zinsen, Gülten, Laudemien1, Sterbfallabgaben, Schutzgelder usw. wurden allen alten Verträgen zum Trotz willkürlich erhöht. Die Justiz wurde verweigert oder verschachert. (F. Engels. Der deutsche Bauernkrieg.)

Wenn der Parallelismus sich nicht bloß über einzelne Sätze, sondern über große Zusammenhänge erstreckt, erhält er architektonische Bedeutung.

Als Gegenstück zum Parallelismus seien die sog. Gegensatzfiguren besprochen. Hierher gehören:

1. Die Antithese, auch Kontrast genannt,. Eine Antithese entsteht durch Opposition zweier Begriffe, die auf einer logischen Ebene liegen:
N. ist ein guter Dramatiker, aber ein mäßiger Lyriker, (logische  Ebene:  Schriftsteller).

Im Gegensatz zur logischen Antithese sprechen wir von einer „schiefen" (d. h. unlogischen) Antithese, wenn die Ver­bindungsebene zwischen den Polen der Gegenüberstellung fehlt. Auf „schiefen" Antithesen werden zahlreiche volks­tümliche Scherze und geflügelte Worte aufgebaut, wie z. B.:
„Spielen Sie Klavier?"—„Nein, aber meine Großmutter schreibt Romane."

Heine nutzt die„schiefe" Antithese für satirische Ausfälle aus; so schreibt er in dem Buch „Italien. Die Bäder von Lucca":
... daß in Bologna die kleinsten Hunde und die größten Gelehrten ... zu finden sind.

Ihrem Wesen nach erinnert die „schiefe" Antithese an das Zeugma.Die Antithese kann sich mit anderen Stilmitteln verbin­den — etwa mit Doppelsinn — und dadurch erhöhte Wirkung erlangen. So läßt Johann Nestroy in der Posse „Der Unbedeu­tende" zwei Zimmerleute über die Freundschaft sprechen. Der eine rühmt sich, einen reichen Mann zum Freund gewon­nen zu haben; der andere sagt, er habe zwei Freunde, die für ihn sorgen und ihn nötigenfalls verteidigen. Thomas. Und die zwei Freund', sind das keine Reichen? Peter. Nein, Arme sind's — (seine Arme weisend) die zwei. Mit denen hab' ich mich und mein' Schwester erhalten.

Ebenso wie der Parallelismus, spielt auch die Antithese eine wichtige Rolle im Stil der wissenschaftlichen Prosa. Sie trägt zur logischen Gliederung des Gedankengehalts bei und bewirkt durch Schärfe und Gegenüberstellung größere Klarheit und dadurch größere Überzeugungskraft:

Während in England und Frankreich das Emporkommen des Handels und der Industrie die Verkettung der In­teressen über das ganze Land und damit die politische Zentralisation zur Folge hatte, brachte Deutschland es nur zur Gruppierung der Interessen nach Provinzen, um bloß lokale Zentren, und damit zur politischen Zersplit­terung... (F. Engels. Der deutsche Bauernkrieg.)

Im publizistischen Stil ist, wenn man so sagen darf, die Antithese zu einem Modell geworden, das mit verschiedenem lexikalischem Inhalt gefüllt werden kann:
Kuba ja — Yankees nein. Freiheit ja, Kolonialismus nein! Freiheit ja — Faschismus nein!
Der Antithese kommt ebenso wie dem Parallelismus eine wichtige architektonische Funktion zu.

2. Der Chiasmus, benannt nach dem griechischen Buchstaben „Chi" (auch „Kreuzfigur", weil er formal durch lexikalische Kreuzstellung gekennzeichnet ist). Der Chias­mus entsteht dadurch, daß zu einer Antithese eine zweite hinzutritt, aber umgekehrten Inhalts.

Oben wurde ein Satz aus den „Bädern von Lucca" als Beispiel einer „schiefen" Antithese angeführt. Dieser Satz bil­det aber nur die erste Antithese, zu der im weiteren noch eine zweite, inhaltlich entgegengesetzte, aber gleichfalls „schiefe" Antithese hinzukommt:

...daß in Bologna die kleinsten Hunde und die größten Gelehrten, in Göttingen hingegen die kleinsten Gelehrten und die größten Hunde zu finden sind.

So wächst die Antithese in den Chiasmus hinüber, und zwar im angeführten Beispiel in einen satirischen Chiasmus.

Im Stil des Alltagsverkehrs wird die Kreuzfigur seltener gebraucht. Hingegen ist sie in der schönen Literatur ein be­liebtes Ausdrucksmittel. Dafür einige Beispiele:
Brecht das Doppeljoch entzwei! Brecht die Not der Sklaverei! Brecht die Sklaverei der Not! Brot ist Freiheit, Freiheit — Brot!
(G. Herwegh. Bundeslied.)

Mit lyrischer Färbung:
...ein Blumenregen von klingenden Strahlen und strah­lenden Klängen... (H. Heine. Die Harzreise.)

Dagegen mit lehrhafter Färbung:
...man sprach zuweilen von leichtsinnigen Dingen wich­tig, von wichtigen öfters leichtsinnig... (A. Chamisso. Peter Schlemihls wundersame Geschichte).

Träger einer schneidend scharfen, politischen Satire ge­gen die Metternichzensur ist der bekannte Chiasmus aus J. Nestroys Posse „Freiheit im Krähwinkel":
Ein Zensor is [ist] ein Mensch gewordener Bleistifter oder ein bleistiftgewordener Mensch.

Einen bestimmten stilistischen Ausdruckswert des Chias­mus verallgemeinernd anzugeben, ist kaum möglich. Seine inhaltliche und emotionale Funktion läßt sich nur im jewei­ligen Kontext nachweisen.

 
     
   

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