Wortschatz


             
       
 
 
       
       
 
  Wortschatz
   
     
   
     
     
 

Vom Standpunkt der Stilistik aus ist vor allem die funktionale Verwendung der verschiedenen Wortschatzschichten – und demnach ihre funktionale Stilfärbung – von großem Interesse. Eine derartige Betrachtung steht auch im Dienst der Sprachpflege; sie hilft das „treffende Wort“ zu finden, insofern sie die Fragen der Wortwahl von einer neuen Seite her beleuchtet.

Wenn wir den gesamten Wortbestand nach seiner Zugehörigkeit zu den einzelnen schriftlichen und mündlichen Stilen der Nationalsprache untersuchen, müssen wir zwei große Gruppen unterscheiden:

Feld1. den funktional-stilistisch undifferenzierten Wortbestand (d.h. allgemeinverständliche und allgemeingebräuchliche Wörter, die in sämtlichen Stilen gleicherweise verwendet werden) und

2. den funktional-stilistisch differenzierten Wortbestand (d.h. Wörter und Wendungen, deren Verwendungsbereich durch gewisse zeitliche, territoriale, berufliche, soziale und nationale Schranken eingeengt ist; auch Wörter und Wendungen, die infolge ihrer emotionalen Färbung nicht in allen Stilen gebraucht werden können).

Diese beiden großen Gruppen sind in ständigem Fluß: einzelne Vertreter der einen Gruppe gehen,sobald sich der Charakter ihrer funktionalen Verwendung ändert, in die andere Gruppe über.

Zunächst über die erste Gruppe. Hierher gehört vor allem die mehr oder wenige stabile lexische Basis der Sprache, bestehend aus allgemeinverständlichen und allgemeingebräuchlichen Wörtern einfach-literarischer Prägung mit expressiver Nullfärbung, der sog. Grundwortbestand der Sprache. Dieser Kernwortschatz ist funktional-stilistisch undifferenziert, weil er in allen Stillen  - in jeder beliebigen Unterart des wissenschaftlichen oder publizistischen Stils, des offiziellen oder privaten Verkehrsstils, desgleichen auch in allen Genrestilen der schönen Literatur – unterschiedslos das sprachliche Fundament bildet. Ohne seine Mithilfe kann keine geschlossene Äußerung zustande kommen. Die zu ihm gehörigen Sprachgebilde sind sowohl ihrer lexikalischen Bedeutung als ihrer stilistischen Beschaffenheit nach für jede Rede unentbehrlich. Sie bezeichnen lebenswichtige Gegenstände, Eigenschaften, Zustände, Handlungen und Zahlenverhältnisse oder deuten auf sie hin; sie stellen die nötigen logischen Verbindungsglieder her, ohne die der Satzzusammenhang unverständlich wäre. Sie bilden die stilistisch neutrale Grundlage, von der sich erst die funktionale und expressive Färbung der übrigen Wortschatzschichten plastisch abheben kann.  

Die Wörter des Grundwortbestands sind demnach in ihrer Verwendung unbegrenzt; dazu kommt, dass sie in allen Rede- und Gattungsstilen das gleiche Gewicht, die gleich Verbreitung haben. Dies gilt für sämtliche Redeteile: für die Dienstwörter ebenso wie für die selbständigen Wortarten.

Bemerkenswert ist, dass zu einem beträchtlichen Teil des Grundwortbestands weder ideographische noch stilistische Synonyme gebildet werden können. Numeralien wie zehn, der zehnte, zehnmal, Pronomen wie er, unser, nichts u. a. m. haben keinerlei sinngleiche oder sinnähnliche Äquivalente, auch keine stilistischen Varianten. Substantive wie der Tisch, der Mensch u. ä. können keine Synonyme bilden, weil sie zu allgemeine Begriffe ausdrücken. Erst wenn sie in thematischen Reihen mit engerem Bedeutungsumfang präzisiert werden, lassen sich – innerhalb dieser thematischen Reihen – Synonyme finden.

Zur Lexik mit funktionaler Neutralität und absoluter Nullexpressivität gehören die Massen abgeleiteter und zusammengesetzter Wörter vom Typ beschlagen, abschlagen, entfliegen, sich verfliegen, fortfliegen, zufliegen, Haustor, dunkelrot, radfahren u. a. m.

Die funktional-stilistisch undifferenzierte Gruppe bereichert sich ständig durch Zustrom aus der funktional-stilistisch differenzierten Gruppe. Es handelt sich um jene Wörter, die ihre enge Wortschicht verlassen, um in den allgemeinen Gebrauch einzugehen. So dringen z. B. in unseren Tagen die wichtigsten Termini des Fernsehens, die vor einigen Jahren als engspezialisierte  wissenschaftliche Fachwörter entstanden sind, in sämtliche Stile  der Sprache ein und verlieren ihren terminologischen Charakter (z.B.: Fernsehempfang, Bildschirm, Fernsehbildrohr, Farbfernsehen u. ä.). Die engen Schranken, die ihrer Allgemeinverständlichkeit und Allgemeigebräuchlichkeit im Wege standen, sind beseitigt.

Auch Wörter und Wendungen, die sich wegen ihrer expressiven Beschaffenheit nicht über den gesamten Sprachverkehr ausbreiten konnten, werden mit der Zeit umgenormt und können ihren Geltungsbereich vergrößern. So ist z.B. die Kurzform Lok als beruflicher Jargonismus entstanden. Heute ist sie (mit einfach-literarischer Stilfärbung und absoluter Nullexpressivität) in die funktional-stilistisch undifferenzierte Lexik eingegangen, gemeinsam mit ihren Zusammensetzungen: Lokführer, Diesellok u. a. Auch phraseologische Fügungen aller Art können, sobald ihre Expressivität zu verblassen beginnt, in jene Stile eindringen, die ihnen früher verschlossen waren. Die Übergänge zwischen den beiden Wortschatzgruppen lassen sich nur am Sprachmaterial selbst nachweisen.

 
     
   

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