Intonation


             
       
 
 
       
       
 
  Phonetik / Intonation
   
     
   
     
     
 

Im vorliegenden Kapitel soll die stilischtische Bedeutung der einzelnen intonatorischen Faktoren (Rhytmus, Melodie, Tonstärke, Stimmlage, Tonfarbe betrachtet werden, und insbesondere die Rolle des Rhythmus in den verschiedenen Verwendungsweisen der Sprache.

Unter “Rhytmus” verstehen wir das Ergebnis des Zusammenwirkens von Satzbetonung, Pausen und Tempo. Der Rhythmus entsteht erst im Prozeß der Rede – eben dadurch, dass die genannten intonatorischen Erscheinungen zueinander in Beziehung treten.

Jede Rede besitzt Rhuthmus, wenngleich – entsprechend ihrer funktionalen und expressiven Spezifik – qualitativ und quantitativ verschieden.

Rhythmus im engsten Sinne des Wortes, Rhuthmus als ästhetische Erscheinung ist das funktionale Merkmal der Poesie und – in geringerem Mass – der künstlerischen Prosa. Grundlegend für den Rhuthmus der gebundenen Rede (Poesie) ist eine irgendwie geregelte Ablauffolge und ein irgndwie geregeltes Ineinandergreifen der einzelnen intonatorischen Greusen: mehr oder minder regelmaessiger Wechsel von betontn und unbetonten Silben; Gliederung der Sätze in Syntagmen in Akzentgruppen nach bestimmten Gesätzmäßigkeit – daher Verteilung der Pausen nach bestimmten Abständen; Regelung des Tempos usw.

Streng georgnete Ablauffolge von betonten und unbetonten Silben bildet aber noch kein ausschlaggebendes Kriterium für eine Trennung der poetischen und prosaischn Rede. Wie wir wissen, gibt es Poesie in freien Rhuthmen (Verse mit ziemlicher Regellosigkeit in der Anordnung der Akzente, d.h. im Wechsel von Hebungen und Senkungen) und rhythmische Prosa (Prosa, deren Gliederung in betonte und unbetonte Silben deutlich wahrnehmbar ist). Auf diese Weise erklärt es sich, dass viele Stellen aus Heines prosaischen Reisebildern “Die Nordsee” und seinem gleichnamigen poetischen Zyklus, was die rhythmische Struktur betrifft, sich nur wenig voneinander unterscheiden:

Abendlich blasser wird am Meer,
Und einsam, mit seinereinsamen Seele,
Sitzt dort ein Mann auf dem kahlen Strand,
Und schaut todkalten Blickes hinauf
Nach der weiten, todkalten Himmelswölbung...   
(Der Gesang der Okeaniden.)    

Gar besonders wundebar wird mir zumute, wenn ich allein            
in der Dämmerung am Strande wandle, - hinter mir flache
Dünen, vor mir das wogende, unermeßliche Meer, über
mir der Himmel wie eine riesige Kristallkuppel…
(Die Nordsee III.)

Bedeutend wichtiger als die Ablauffolge der betonten und unbetonten Silben ist im vorliegenden Fall der melodiöse Charakter der Syntagmen mit ihrer keinesfalls zufälligen Anordnung der Infonnationsgrenzen und Pausen, mit ihrer ziemlich gleichbleibenden Tonhöhe und Tonstärke, mit ihrem lyrischen Timbre.

Die Erforschung der Intonation vom linguostillistischen Standpunkt aus befindet sich noch in den Anfangsstadien. Genauer gesagt, es gibt vorläfig nur vereinzelte und nicht immer gelungene Arbeiten über den individuellen Sprachrhythmus einiger Dichter und Prosaschriftsteller (z. B.  über Goethe, Schiller, Kleist, Eichendorff u. a.). Vollständig unbeachtet ist aber noch bis die funktionale Spezifik der Intonation in dem einen oder dem andern Stil der Nationalsprache. Daher können im Rahmen dieses Lehrbuchs die uns interessirenden Fragen nur aufgeworfen werden – ihre Lösung bleibt der Zukunft überlassen.

Hier bloss einige Beispielsaetze aus funktional verschiedenen gefärbten Kontexten, deren intonatorische (und insbesondere rhuthmische) Eigenheiten – nebst der lexikalischen und grammatischen Beschaffenheit der Rede – eden für einen bestimmten Verwendungsbereich der Sprache typisch sind. Zunächst ein Satz aus einem Amtbrief:
Sie werden ersucht, | den Empfang dieses Bescheides /             
durch Rücksendung des beiliegenden / von Ihnen mit
Datum / eigenhändiger Unterschrift versehenen
Zustellscheines | in eingeschriebenem Brief | zu beständigen.

Aus dieser Illustration können wir einige intonatorische Gesetzmäßigkeiten ableiten,die auch für andere Fälle des Amtsstils Geltung haben:

  1. Charakter und Umfang der einzelnen Syntagmen sind verschieden. Der angeführte Satz enthält ein zusammengesetzes Syntagma, d.h. ein Syntagma , das aus mehreren einfachen Syntagmen (Teilsyntagmen) besteht: durch Rücksendung des beiliegenden / von Ihnen mit Datum / und eigenhändiger Unterschrift versehenen Zustellscheines. Das zusammengesetzte Syntagma ist wegen seiner syntaktischen Struktur (Einschluss der erweiterten Attributsgruppe) stark überladen, was sich sofort aus das Tempo auswirckt: es muss beschleunigt delesen werden.
  2. Die meisten Syntagmen im Satzbau dieses funktionalen Stils sind in simantischer und syntaktischer Hinsicht nicht abgeschlossen: “durch Rücksendung des beiliegenden”, “von Ihnen mit Datum”, “und eigenhändiger Unterschrift versehenen Zustellscheines”, “zu bestaendigen” (losgerissen vom logisch zugehoerigen Wort).
  3. Zwischen den Syntagmen gibt es weniger Pausen als in erster Linie intonatorische Grenzen, so dass der Redeprozeß ohne merkbare Unterbrechung verläuft. Satzbetonung etwas eintönig.
  4. Die Akzente dieses Satzes sind untereinander an Tonstärke ziemlich gleich und im ganzen verhältnismäßig schwach. Es gibt nur einen stark betonten Akzent (zu beständigen), der als logische Satzbetonung ans Satzende fällt.

Der analysierte Satz enthält – das geht aus allem und jedem hervor – eine geschriebene Mitteilung, zum Vorleser, aber nicht zum freien Sprechen bestimmt.

Ähnliche intonatorisch-stilistsche Züge weist der nächste Typensatz auf, einem wissenschaftlichen Werk entnommen:

Zwei / aus dem sprachgeschichtlichen Werden des 16.
Jahrhunderderts überkommene Fragen | sind für die
Barockzeit / von besonderer Bedeutung | / : einmal | die
Auseinandersetzung mit ausländischen Einflüssen, | /
insbesondere das Fremdwordproblem | / , zweitens | im
Innern / der Kampf zwischen Schriftsprache und
Mundart. (A. Langen. Deutsche Sprachgeschichte.)

Wir sehen wieder Syntagmen von verschiedenem Charakter und verschiedenem Umfang (vgl. die eingliedrigen Syntagmen zwei, einmal, zweitens, im Innern mit den übrigen vielgliedrigen und zum Teil überladenen Syntagmen). Die Syntagmen sind sinngemäß und grammatisch nicht abgeschlossen.

Besonders zu erwähnen waeren folgende für die rhythmische Organisierung der wissenschaftlichen Rede charakteristische Momente: die Aufzählung, die eine intonatorische Ähnlichkeit zwischen den mit einmal – zweitens eingeleiteten Teilen hervorruf; vor der Aufzählung eine Pause, eine kurze Unterbrechung im Redestrom, die dem Hörer in Erwartungsbereitschaft verrsetzen soll. Ferner die Parenthese (insbesondere das Fremdwortproblem), die mit gleichbleibender Melodie, in beschleunigtem Tempo, schwächer Tonstärke und irgendwie abstechender Stimmlage gesprochen wird.

Als Gegenstück sei nun ein Satz aus dem Stil der Alltagsrede angeführt – ein Typensatz der echten gesprochenen Rede: 

Aber der Franz, || der kommt nicht, | weil er krumm
geschafft hat, || ganz im Gegenteil, ||der wird was haben,|
was ihn anlockt, | in Frankfurt / oder in Höchst. (A.
Seghers. Das Kreuz.)          

Aus dieser Illustration lassen sich folgende infonatorische Gesetzmäßigkeiten das Alltagsstils ableiten:

  1. Vorhandenensein zahlreicher Pausen – nicht bloss intonatorische Grenzen, sondern richtige Unterbrechungen des Redestroms, möglicherweise ausgefüllt durch eine Handbewegung oder irgendeinen mimischen Akt (z. B. der Franz – schelmisches Heben des Zeigefingers, oder auch eine wegwerfende Bewegung). Die einzelnen Syntagmen sind untereinander an Charakter und Umfang nicht stark verschieden. 
  2. Jedes Syntagma ist sinngemäß und grammatisch verhältnismäßig abgeschlossen. Es gibt kein Zerreissen grammatisch zusammengehöriger Satzgruppen.
  3. Die Tonstärke der einzeln Akzente zeigt große Unterschiede: einzelne Akzente springen stark hervor (der ‘’’ Franz, ‘’’ nicht, ‘’’ haben). Hier handelt es sich um emphatischlogische Betonungen. Der Vokal “a” in haben wird übermäßig gedehnt, gerade zu gesungen.
  4. Die Satzmelodie ist abwechslungsreich (meist: steigendfallend).
 
     
   

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