Stil der Presse


             
       
 
 
       
       
 
  Stil / der Presse
   
     
   
     
     
 

Der Stil der Publizistik und der Presse ist an sich ein Stil der Propaganda und Agitation. Die Bevölkerung soll über aktuelle Geschehnisse in der Politik, im Gesellschaftsleben, in der Kunst, Literatur,Wissenschaft und Technik nicht bloss unterrichtet, sondern auch nach einer bestimmten Richtung hin beeinflusst und überzeugt werden. Im vorliegenden Kapitel interessiert uns natürlich in erster Linie der Stil der progressiven Publizistik uhd Presse, deren Aufgabe darin besteht, die gesellschaftliche Wahrheit aufzudecken. 

Der publizistische Stil (miteingeschlossen Zeitungsstil) ist – seinen       Ausdrucksmöglichkeiten nach – bedeutend mannigfaltiger als die Stile des öffentlichen Verkehrs und der Wissenschaft. Charakteristisch für seine zahlreichen Erscheinungsformen und Abarten ist die innige Verquickung von Verkehrs- und Ausdrucksfunktion der Sprache. Um seine Aufgabe erfolgreich durchzuführen, muss der publizistische Stil sowohl sachliche als auch emotionale Ыberzeugungskraft besitzen.  Daher in seiner sprachlichen Ausdrucksgestaltung einerseits Einfluss von reichem Tatsachen- und Beweismaterial, vermitellt durch aktuelle Realienbezeichnungen (Namen von Zeitgenossen, Orts- und Zeitangaben, Titel von Organisationen, Ziffern, Daten, Zitate u.ae.),deutsche und fremdsprachige Termini, Professionalismen, neue «Schlagwörter» aller Art usw. Dazu noch Mittel der rationalen Einwirkung auf grammatischem und architektonischem Weg: reiche Verwendung  von Parallelismus und Antithese, Frage und Antwort sowie von verschiedensten Arten einprägender Wiederholung und Aufzählung. All dies im Dienst der Systematik und leichteren Fassbarkeit.

Andrerseits die sprachlichen Mittel der emotionalen Fühlungnahme mit dem Publikum: Wahl eines anschaulichexpressiven Wortschatzes, emotional gefärbte Phraseologie, zahlreiche Tropen und Vergleiche, Periphrasen, Epitheta, die verschiedensten Mittel der Satire ( darunter auch charakterologische Mittel der Koloritzeichnung); emotionale Wortfolge, Ausrufe- und Frageintonation, Abbrüche und Einschaltungen.

Zu  betonen ist aber auch, wie Sprache und Stil der Publizistik nicht sein dürfen: nicht geschraubt, nicht papieren, nicht schablonenmässig.

Je nach dem Genre der schriftlichen oder mündlichen Publizistik variiert auch die Verwendungsweise der innerhalb dieses Stiltyps gegebenen  Ausdrucksmöglichkeiten. Reportage und Feuilleton müssen den literarisch-künstlerischen Ansprüchen der schönen Literatur entsprechen (daher steht ihnen auch der gesamte Apparat an Ausdrucksmitteln zur Verfügung, den die schöne Literatur benützt); der einfache oder erweiterte Bericht, der Kommentar, die Chronik und andere sachlich-offizielle Formen der Publizistik und Presse nähern sich dem Stil des öffentlichen Verkehrs; der politische und der wissenschaftliche Artikel fügen sich zum grossen Teil den Gesetzmässigkeiten des wissenschaftlichen Stils. So verschieden die einzelnen Genres der literarischen und politischen Publizistik auch sein mögen, sie werden dennoch von gemeinsamen Stilzügen und gemeinsamen Ausdrucks-tendenzen zusammengehalten (dies gilt natuerlich nur für die fortschritlich eingestellte Publizistik): sie dienen als Mittel sachlichen und zugleich leidenschaftlich emotionslen Kampfes gegen alles Ыberlebte und Rückständige, für alles Neue und Aufbaufördernde.

Selbstverständlich fliessen in der Sprachwirklichkeit die beiden Komponenten des publizistischen Stils – die intellektuelle und die emotionale – ineinander; ihre getrennte Besprechung kann nur im Interesse einer besseren Ыberstich gerechtfertigt werden.

Da die sprachlichen Mittel im Dienst sachlicher Ыberzeugung schon bei den vorangehenden funktionalen Stilen besprochen wurden, sollen hier, als Beitrag zur ersten Komponente des publizistischen Stils, nur kurze Ergänzungen folgen: Die Intellektuelle Einwirkung auf Leser und Hörer hängt vielfach davon ab, auf welche Weise das Tatsachen – und Beiweismaterial an sie herangebracht wird. Es ist Sache des journalistischen Takts, unvermeidliche Bezeichnungen historischer, geographischer, politischer und anderer Realien so einzuführen, dass sie weder inhaltliche noch sprachliche Schwierigkeiten bereiten. Vgl. E.E. Kisch, « Paradies Amerika»:
Unser dampfer ist zu gross, um selbst in sein Landungsbassin zu manövrieren. So bugsieren ihn acht Schlepper. Zwei dieser «tugs» sind Vorspann...

Selbst der des Englischen Unkundige versteht dank dem Pronomen dieser, dass tug  Schlepper bedeutet.

Siehe auch ein Beispiel fuer die Erklärung deutscher Fachausdrücke in der Tagespresse:
Das Regengebiet, ein sogenannter Kaltlufttropfen, ist zur Nordsee abgezogen.

Einen wichtigen Platz bei der intellektuellen Beweisführung nehmen die Zitate aus den verschiedensten Quellen ein: Aussprüche bekannter Staatsmänner und Gelehrter, Stellen aus Zeitungsartikeln oder Büchern, bei dieser Rededarstellung werden sowohl direkte Rede ( mit und ohne Einkleidung) als indirekte Rede verwendet – natürlich mit anderer stilistischer Funktion als beim Sprachporträt in der schönen Literatur. Besoders häufig sind Mischformen zwischen direkter und indirekter Rede, so in folgendem Bericht über einen Willkürakt der bundesdeutschen Grenzpolizei gegenüber der Volkskammerabgeordneten Rosa Thaelmann:
Wie das Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer erklärte, stellen diese skandalösen Vorfälle eine ernste Bedrohung des gesamtdeutschen  Reiseverkehrs dar. Es sei keinesfalls bekannt, «dass westdeutsche Parlamentarier auf ihren Reisen durch die DDR in solchen gemeiner und schikanöser Art behandelt worden sind.»
(Beachte im ersten Satz die Formulierung der Einkleidung.)

Die direkte Rede taucht oft nur in Wort – oder Wortgruppensplittern auf:
Ein Neuer grosser Versuchsflughafen der westdeutschen Luftwaffe soll «irgendwo in Bayern» entstehen. Die bisherigen Erfahrungen  mit dem Widerstand der Bevölkerung gegen solche Pläne zwangen das Kriegsministerium, den vorgesehenen Ort noch zu verschweigen.

Selbst ohne erklärenden Nachsatz würde der Leser ohne weiteres verstehen, von wem die Formulierung irgendwo in Bayern ausgeht.

Noch interessanter ist folgender Fall, wo das Zitat als Tatsachenmaterial in Klammern eingeschaltet ist – eine Art der Rededarstellung, die häufig in der schönen Literatur vorkommt. Es handelt sich in diesem Artikel um das Organ einer Streikbrechervereinigung:
1951 vom damaligen Bonner Innenminister Lehr(«Der Gewerkschaft den Einfluss nehmen!») gegründet, wurde es der berüchtigen  «Technischen Nothilfe» der 20erJahre ... nachklischiert.
(In Klammern steht eine Losung ausgegeben vom genannten westdeutschen Staatsmann).

Die erlebte Rede wird in Presseberichten selten und nur mit Vorsicht gebraucht. Dies erklärt sich aus dem gewissen «Halbdunkel» dieser Darstellungsform, die nicht immer verstehen lässt, wer spricht: der Verfesser oder jemand, von dem er erzählt. Daher wird die erlebte Rede gewöhnlich nur in publizistischen Genres verwendet, die dem Stil der schönen Literatur nahestehen.

Auf grammatischem Gebiet verdienen besondere Erwähnung Wiederholung, Aufzählung, Parallelismus und Antithese als Mittel eindringlicher Logik und Systematik (sowohl innerhalb eines Satzes als insbesondere im erweiterten Kontext und Grosszusammenhang). Die Grösste Bedeutung kommt augenscheinlich der Antithese zu. Da zahlreiche  publizistische Arbeiten auf  inhaltlichem Kontrast aufgebaut sind (Darstellung gegensaetzlicher Weltanschauungen, Meinungen, Situationen usw.), müssen zur sprachlichen Realisierung lexische und syntaktische Antithesen dienen – und dies meist zusammen mit anderen Verbindungsmitteln: Wiederholung, Aufzählung, Parallelismus (unterstützt durch graphische Mittel.) So z.B. in folgendem Aufruf:
SOLL DAS SO WEITERGEHEN?

Die DDR fordert :                            Das Bonner Regime antwortet:
Schluss mit der Aufrüstung                Schnelle Aufrüstung und Verschärfung
Und dem kalten Krieg!                        des  kalten Krieges!

Die DDR fordert :                           Das Bonner Regime antwortet:
Schluss mit den Kernwaffen-               Wir wollen Atombomben haben.
Versuchen, weg mit den Atomwaffen!..

Abweichungen von der normativen Wortfolge stehen sowohl im Dienst der semantischen als auch der emotionalen Hervorhebung. Selbst  in sachlich-offiziellen Meldungen werden nachdrücklich betonte Wortstellungen verwendet, um die Aufmerksamkeit des Lesers auf die wichtigen Sinnträger des Satzes zu lenken:
10 000 Mainelken beschlagnahmte – wie jetzt erst bekannt wurde – die  Dortmunder Staatsanwaltschaft.

In jeglicher Publizistik muss der Satz übersichtlich gebaut sein, zum sofortigen Verstehen geeignet. Daher Gliederung des Satzes in klar zu erfassende Sinnesabschnitte. Siehe folgende Notiz  über Bertolt Brecht in der Tageszeitung:
In den Exiljahren stand im Zentrum seines Lebens, Denkens und Dichtes der Kampf gegen die Nazis und gegen den Krieg der Nazis.

Daher auch häufiger Vorkommen der unvollständigen Rahmenkonstruktion. Vgl. J.R. Becher, «Deutsches Bekenntnis».

Lassen wir nun kurz unsere vergangene Geschichte aufleuchten im Lichte der Wahrheit, um in diesem Lichte sehend zu werden... Wir glichen Wanderern ins Nichts, wenn wir die Augen verschliessen würden vor der Wahrheit...

 
     
   

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