Satztypen


             
       
   
       
       
 
  Grammatik / Satztypen
   
     
   
     
     
 

Ausschlaggebend für die Wahl der Satztypen – Aussagesatz, Ausrufesatz, Aufforderungssatz (Wunsch und Befehlssatz), Fragesatz – ist in erster Linie die Thematik, der Gedankengehalt der Rede. Aber auch ihre stilistische Beschaffenheit (d.h. ihre funktionale und semantisch-expressive Stilfärbung) spielt dabei eine wichtige Rolle. All die genannten Umstände sollen im folgenden an Hand konkreten Textmaterials gezeigt werden. Beginnen wir mit einer Illustration über einen grösseren Kontext hin, wie es bei der Untersuchung der syntaktischen Ausdrucksmittel unerlässlich ist. Wir betrachten die ersten drei Absätze des Einleitungsbriefs aus den “Leiden des jungen Werthers” von Goethe:

Wie froh bin ich, dass ich weg bin! Bester Freund, was ist das Herz des Menschen! Dich zu verlassen, den ich so liebe, von dem ich unzertrennlich war, und froh zu sein! Ich weiss, du verzeihst mir’s. Waren nicht meine übrigen Verbindungen recht ausgesucht vom Schicksal, um ein Herz wie das meine zu ängstigen? Die arme Leonore! Und doch war ich unschuldig. Konnt’ ich dafür, dass, während die eigensinnigen Reize ihrer Schwester mir eine angenehme Unterhaltung verschafften, dass eine Leidenschaft in dem armen Herzen sich bildete? Und doch – bin ich ganz unschuldig? Hab’ ich nicht ihre Empfindungen genährt? hab’ ich mich nicht an den ganz wahren Ausdrücken der Natur, die uns so oft zu lachen machten, so wenig lächerlich sie waren, selbst ergetzt? Hab’ ich nicht – O was ist der Mensch, dass er über sich klagen darf! – Ich will, lieber Freund, ich verspreche dir’s, ich will mich bessern…

Du bist so gut, meiner Mutter zu sagen, dass ich ihr Geschäft bestens betreiben und ihr ehstens Nachricht davon geben werde. Ich habe meine Tante gesprochen und bei weitem das böse Weib nicht gefunden, das man bei uns aus ihr macht. Sie ist eine muntere, heftige Frau von dem besten Herzen. Ich erklärte ihr meiner Mutter Beschwerden über den zurückgehaltenen Erbschaftsanteil; sie sagte mir ihre Gründe, Ursachen und die Bedingungen, unter welchen sie bereit wäre, alles herauszugeben, und mehr als wir verlangten – Kurz, ich mag jetzt nichts davon schreiben, sag’ meiner Mutter, es werde alles gut gehen. Und ich habe, mein Lieber, wieder bei diesem kleinen Geschäft gefunden, dass Missverständnisse und Trägheit vielleicht mehr Irrungen in der Welt machen als List und Bosheit. Wenigstens sind die beiden letztern gewiss seltner.

Übrigens befinde ich mich hier gar wohl. Die Einsamkeit ist meinem Herzen köstlicher Balsam in dieser paradiesichen Gegend, und diese Jarszeit der Jugend wärmt mit aller Fülle mein oft schauderndes Herz. Jeder Baum, jede Hecke ist ein Strauss von Blüten, und man möchte zum Maienkäfer werden, um in dem Meer von Wohlgerüchen herumschweben und alle seine Nahrung darin finden zu können.

Der ganze Text ist im literarischen Briefstil gehalten, also in einem Genrestil der schönen Literatur, der mit zahlreichen Elementen des Alltagsstils vermengt ist ist. Aif den ersten Blick fällt ins Auge die Verschiedenheit der Schreibweise in den drei angeführten Absätzen. Dies geht zurück auf den jeweiligen Wechsel in der Thematik – und der Wechsel in der Thematik zieht zwangsläufig eine jeweilige Änderung von Lexik und Syntax nach sich. Im ersten Absatz handelt es sich um Gefühlsschilderungen und Überlegungen im Zusammenhang mit einem Ereignis, das das Privatleben des Schreibenden betrifft – daher die Stilfärbung dieses Absatzes: literarisch-umgangssprachlich, erregt. Der zweite Absatz befasst sich mit einem anderen Thema, mit Geschäftsangelegenheiten, die der Briefschreiber für seine Mutter erledigen muss. Aus dem subjektiven Gefühlserguss wird ein objektiver Tatsachenbericht (allerdings beeinflusst durch die Briefform, die gewöhnlich ein gewisses Sich-Gehen-Lassen mit sich bringt). Der dritte Absatz kehrt wieder in die Sphäre des Gefühlslebens zurück und damit zur subjektiv-emotionaler Färbung. Aber der Gegenstand ist ein anderer geworden: an Stelle der erregten Schilderung persönlicher Erlebnisse treten bedeutend ruhigere Betrachtungen über die Herrlichkeit der Natur.

Wie aus dem Text ersichtlich, enthalten der erste und der dritte Absatz mit ihrer emotionaler Thematik überwiegend expressive Lexik und Phraseologie. Die sentimentale Schattierung äussert sich weniger in isolierten Wörtern als hauptsächlich in Wortgruppen: in der Wahl der Epitheta (armes schauderndes Herz, köstlicher Balsam, paradiesische Gegend), der Periphrasen (diese Jahrszeit der Jugend=Frühling) und Bilder (herumschweben im Meer von Wohlgerüchten). Zum Unterschied von der sentimentalen Gefühlslexik im ersten und dritten Absatz befindet sich im zweiten, in Übereinstimmung mit seiner Thematik, eine typische Verstandeslexik (zurückgehaltener Erbschaftsanteil, Gründe, Ursachen, Bedingungen, kleines Geschäft).

Zusammen mit der Lexik ändert sich der Charakter des Satztyps in den drei angeführten Absätzen. Im ersten Absatz sehen wir eine überwältigende Zahl von Sätzen mit Ausrufe- und Frageintonation neben einer verschwindend kleinen Schar von Aussagesätzen, zum Unterschied vom zweiten Absatz, in dem der Aussagesatz Alleinherschaft ausübt. Der Gefühlsgehalt des ersten Absatzes fordert affektive Satzformen, die ruhigen Mitteilungen des zweiten Absatzes drängen zur klaren und geschlossenen Form des Aussagesatzes. Mit der syntaktischen Form hängt aich die Satzmelodie zusammen. Ausrufe- und Fragesätze sind in der Regel mit steigender, Aussagesätze mit fallender Satzmelodie verbunden (nur wenn die Fragesätze durch ein Fragewort eingeleitet werden, können sie auch fallende Satzmelodie haben). Daher im ersten Briefsatz, in dem die Gefühle und Empfindungen nur so hervorsprudeln, überwiegend Hochton in der Stimmführung. Die emotionale und umgangssprachliche Färbung des ersten Abschnitts wird ferner durch eine Reihe syntaktischer Faktoren unterstrichen: durch Schalsätze, Ellipsen, stilistisch gefärbte Wortfolge und verschiedene andere Auflockerungen der geschlossenen Satzform; dazu kommen morphologische Merkmale der Umgangssprache (z. B. Elision des unbetonten –e in den Endungen). Im zweten Abschnitt nichts von alledem. Frage- und Ausrufesatz haben dem Aussagesatz (Satzgefüge) Platz gemacht, stets mit Tiefton am Satzende.

Bemerkenswert ist die Syntax des dritten Abschnitts. Das Sentimentale des Inhalts entlädt sich hier nicht, wie im ersten Absatz, in zerrissener Satzform. Die Natur bringt dem Menschen Linderung, köstlicher Balsam. Daher wird bei der Darstellung der Natur die Leidenschaft zurückgedrängt, die Ausdrucksform wird episch-ruhug (Aussagesätze).

Wir sehen also: Ein und derselbe Satztyp kann verschiedenen Inhalt, verschiedene Ausdruckswerte bergen. Der Aussagesatz im zweiten Abschnitt dient der ruhigen geschäftlichen Mitteilung und anschliessenden kühlen Überlegungen. Dieselbe grammatische Satzform, derselbe Aussagesatz bringt im dritten Abschnitt sentimentale Naturbetrachtung zum Ausdruck. Beide Verwendungen werden bedingt durch die Ruhe der Darstellung.

 
     
   

© 2010 UlSTU Angewandte Linguistik

Bestimmung | Wortschatz | Grammatik | Phonetik | Stil | Testen | Sitemap | Kontakt
Hosted by uCoz