Stilfarbung


             
       
 
 
       
       
 
  Bestimmung / Stilfärbung
   
     
   
     
     
 

Zu einer Verwirrung der stilistischen Grundbegriffe führen Bezeichnungen wie z. B. “feierlicher”, “zärtlich-intimer”, “humoristischer”, “ironischer Stil” oder auch “hoher” und “vulgärer Stil”. Hier handelt es sich weder um Redestile noch um ihre Abarten, die Gattungsstile, da für die Annahme von Stilen die Voraussetzung fehlt: die funktionale Basis. Was von manchen Gelehrten irrig als “Stil” mit den genannten oder ähnlichen Beiwörtern angesprochen wird, ist in Wahrheit nichts anderes als Stilfärbung.

Es gibt zwei Kategorien von Stilfärbung, die aber in der Sprachwirklichkeit in ständiger Wechselbeziehung zueinander stehen: die funktionale und die semantisch-expressive Stilfärbung.

Beim Erlernen einer Fremdsprache spielt die Stilfärbung der sprachlichen Äuβerung eine wichtige Rolle. Es genügtnicht, die lexikalische Bedeutung dieses oder jenes Wortes, dieses oderr jenes Idioms zu verstehen; en genügh nicht, den Bau dieser oder jener syntaktischen Konstruktion richtig zu erfassen. Um die einzelnen Sprachgebilde zweckentsprechend zu gebrauchen, müssen wir beide Arten ihrer Stilfärbung kennen.

Unter “funktionaler Stilfärbung” verstehen wir jenes spezifische Gepräge der Sprachmittel, das gerade auf ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten Redestil hinweist. Es handelt sich — wenn man so sagen darf — um die spezifische Atmosphäre innerhalb dieser oderfjener funktionalen Verwendungsweise der Sprache.

Die funktionale Stilfärbung kann im Gesamtcharakter der Rede fühlbar werden. So empfindet man Steife und Förmlichkeit der Darstellung als funktionale Stilfärbung des Amtsstils, logisches Dozieren und Beweisführen als funktionaleStilfärbung des wissenschaftlichen Stils, während für den publizistischen Stil ein gewisser Agitationscharakter den funktionalen Hintergrund bildet. Der Alltagsstil ist funktional gekennzeichnet durch Ungezwungenheit der Rede, durch Emotionalität und Dynamik, Anschaulichkeit und Bildhaftigkeit, durch Humor und Satire und nicht selten durch eine Offenheit, die bis an die Grenze des Derben führt (s. v. Teil des Buches).

Die funktionale Stilfärbung bricht aber auch in einzelnen Sprachelementen durch: in bestimmten Wörtern und Wendungen, Konstruktionen und Intonationsvarianten, die gerade die Zugehörigkeit zu diesem oder jenem Stil verraten (vgl. Z. B. Die Formulierungen Ich danke verbindlichst und Ich danke sehr).

In jedem funktionalen Stil finden sich – nebst einem neutralen Wortschatz sowie neutralen grammatischen und phonetischen Erscheinungen, die allen Verwendungsweisen der Sprache gemeinsam sind – bestimmte funktional-stilisch gefärbte Bestandteile. Die funktionale Stilfärbung entsteht im Schoβe des betreffenden funktionalen Stils, sie tritt erst dann greifbar zutage, wenn sie ihren “Mutterstil” verläβt und in einen anderen Stil eindringt. Bei sich “daheim” sind die funktional-stilistisch gefärbten Bestandteile berechtigt und notwendig; geraten sie aber in andere Verwendungssphären der Sprache, so wirken sie dort als Fremdkörper und können nur zu besonderen Ausdruckszwecken verwendet werden.

Die Ausprägung der funktionalen Stilfärbung ist nicht in allen Verwendungaweisen der Sprache von gleicher Art und gleicher Stärke. (Von vornherein schalten wir aus unserer Besprechung den Stil der schönen Literatur aus, da in ihm ein komplizierter Übergang von funktionalen zu ästhetischen Stilqualitäten vor sich geht).

Besonders kraβ offenbart sich die funktionale Färbung im Stil des offiziellen Verkehrs. Dazu ausführlichere Beweise aus einem seiner Gattungsstile, dem sog. Kanzleistil. Zunächst gibt es eine typische Amtsterminologie: Wörter und Wendungen wie rekurrieren einen Rekurs einlegen (d. H. Gegen eine gefällte Entscheidung Einspruch erheben), jemand suspendieren (d. H. Des Amtes entheben), etwas als Nachnahme schicken (d. H. Unter Einziehen der Kosten vom Empfänger). Dazu kommen Fügungen von stark ausgeprägter funktionaler Färbung: ab sofort, f. d. r. (d. H. Für die Richtigkeit der Unterzeichnung), in Bedachtnahme auf bereits erfolgte Zahlungen u. a. m.

Präpositionen wie an, auf, durch, für, mit, aus, wegen usw. Sind altes Sprachgut der Nation, in sämtlichen Stilen gleicherweise gebraucht. Hingegen dienen die bedeutend später entstandenen Wörter behufs, zwecks, vermittels u. a. als typische Amtspräpositionen. Noch greller kommt die funktionale besonderheit bei jenen Präpositionen zum Vorschein, die aus einer Wortgruppe bestehen (wie etwa anstatt der einfachen Kanzleipräposition gemäβdie substantivische Gruppe in Gemäβheit). Sie alle sind funktional-stlistische Synonyme zu alten Präpositionen des grundwortbestandes.

 
     
   

© 2010 UlSTU Angewandte Linguistik

Bestimmung | Wortschatz | Grammatik | Phonetik | Stil | Testen | Sitemap | Kontakt
Hosted by uCoz