Stil des Verkehrs


             
       
 
 
       
       
 
  Stil / des Verkehrs
   
     
   
     
     
 

Grundfunktion dieses Stils ist die offizielle schriftliche und mündliche Verständigung einerseits zwischen den Staatsämtern und Behörden untereinander und andererseits zwischen öffentlichen Organisationen und dem Publikum. Es handelt sich also um die sprachliche Fassung sämlicher Amtsdokumente, Gesetze und Vorschriften, um die Gestaltung der Diplomaten-, Gerichts- und Handelskorrespondenz sowie aller mündlichen Ansprachen bei offiziellen Anlässen. Reden, die den Rahmen der sachlichen Mitteilung überschreiten, dürfen schon nicht mehr in den Bereich der offiziellen Verständigengsweise gezählt werden. Der Staatsmann auf diplomatischen Konferenzen, der Ankläger oder der Verteidiger bei Gericht lassen sich vom Gegenstand ihrer Mitteilung hinreißen, sie drücken in leidenschaftlich-bewegter Form ihre Ansicht aus. Derartige Reden gehören ihrer gesamten linguistischen Charakteristik nach viel eher zum Ausdruckssystem der mündlichen Publizistik.

Ein gesunder Amtsstil ist durch folgende Wesenszüge (Stilzüge) gekennzeichnet: Unpersönlichkeit und Sachlichkeit, gedrängte Kürze, streng literarische Form, leichte Faßbarkeit.

Leider erweist sich in der Sprachwirklichkeit, daß der deutsche Amtsstil nicht immer seinen funktionalen Anforderungen gerecht wird. Ohne auf die Auswüchse des berüchtigten Kanzleistils vergangener Zeiten einzugehen, muß zugegeben werden, daß auch heute noch reichliche Anlässe zu Klagen über das „Bürokratendeutsch“ vorhanden sind. Die Forderung nach Unpersönlichkeit und Sachlichkeit artet manchmal leicht in Gefallen an papierenen Redewendungen und schwerfälligen Konstruktionen aus. Immer noch machen sich – im Widerspruch zur Forderung nach Kürze und Leichtfaßbarkeit – pedantische Wortfülle und formlose Satzgebung fühlbar.

Zum Unterschied von den anderen funktionalen Stilen ist dem Stil des öffentlichen Verkehrs (insbesondere dem Kanzlei- und Handelsstil) eine beträchtliche Fachliteratur gewidmet. Leider begnügen sich aber die meisten Arbeiten damit, die sprachlichen Mängel dieses Stils zu verspotten, und vergessen ihre eigentliche Aufgabe: zeitgemäße Normen für diese Verwendungsweise der Nationalsprache aufzustellen.

Wie schon in der Einleitung des Lehrbuchs ausgeführt wurde, ist im Stil des öffentlichen Verkehrs eine bestimmte funktional gefärbte Lexik mit eingeschlossen: teils sind es deutsche und fremdsprachige Termini, teils nichtterminologische Klischees. Ihre spezifische Prägung äußert sich in einer gewissen Steife und Förmlichkeit.

So bringt jeder Geschäftsbrief, jede Meldung, jedes Gesuch einleitend hinter der funktional gefärbten Abkürzung betr. (betreffend, betreffs) stichwortartige Angaben des Inhalts.
Betr.: Urlaubsgesuch wegen dringender Familienangelegenheiten.

Zum Abschluß eines Dokuments wird gewöhnlich die Zahl der Anlagen genannt oder namentlich angeführt (Anlagen: Geburtszeugnis, Leumundszeugnis, Reifezeugnis u. ä.).
Jedes Protokoll muß – bei bestimmter Architektonik – einen spezifischen Wortschatz bringen wie etwa:
Protokoll über ... – am ... – um ... – anwesend ...
(z. B. lt. [laut] Anwesenheitsliste 35 Teilnehmer) – Leitung – Tagesordnung – Beginn – Verhandlungsablauf – Beschluß – Unterschrift des Protokollanten (Schriftführers) – f. d. R.

Pronominaladverbien wie hiermit, hiervon, hierfür – süddeutsch hiemit, hievon, hiefür – sind Wahrzeichen offizieller Formulierungen:
Hiervon werden Sie rechtzeitig in Kenntnis gesetzt.
Hiermit bitten wir Sie ...

Im Amtsstil durchaus korrekt, wirken diese Wörter in anderem funktionalen Zusammenhang wie Fremdkörper.

Mit Recht bekämpfen die Fachbücher der deutschen Amts- und Handelskorrespondenz den übermäßigen Gebrauch der sog. „Schwammwörter“ in ihrer Eigenschaft als prädikative Verben (z. B. erfolgen, vor sich gehen, vornehmen). Eine Gebrauchsanweisung wie etwa:
Die Abstellung des Klingelzeichens erfolgt durch Eindrücken des Abstellknopfes läßt sich tatsächlich kürzer und treffender formulieren:
Das Klingelzeichen wird durch Eindrücken des Abstellknopfes abgestellt.

Zu den funktionalen Besonderheiten des Stils des offiziellen Verkehrs gehört auch der intensive Gebrauch von analztischen Verbalverbindungen. Gewiß muß man E. Engel beistimmen, wenn er in seiner „Deutschen Stilkunst“ folgende Formulierung als Auswuchs des Kanzleistils anprangert:
Ich werde die Feststellung des Resultates vornehmen lassen (anstatt: Ich werde das Ergebnis feststellen lassen).

Wir können ihm aber nicht recht geben, wenn er mit dem ironischen Schlagwort „Aus Eins mach Drei!“ die Verwendung der analytischen Verbindung im Amtsstil überhaupt ablehnt und sie vorbehaltlos als „Recken, Strecken und Stopfen“ bezeichnet. Wie schon früher ausgeführt wurde, sind die analytischen Verbalverbindungen im Stil des öffentlichen Verkehrs (ebenso wie im wissenschaftlichen Stil) besonders verbreitet. Richtig gebraucht, tragen sie dazu bei, ideographische und stilistische Schattierungen auszudrücken. Die Fügung zur Verlesung bringen ist nicht einfach eine Streckform von verlesen, sondern vielmehr ein Inchoativ zu verlesen und bedeutet: „darangehen, etwas zu verlesen“. Die Stilfärbung dieser Wortgruppe ist gehoben, offiziell (dies gilt in noch stärkerem Maß von der Wendung: zur Verlesung schreiten). Verwendung finden ist kein vollständiges Synonym zu verwenden, ebensowenig wie: Bericht erstattenberichten, Bedeutung habenbedeuten.

Zugegeben, daß manche analytischen Verbindungen schwerfällig klingen; die rhythmische Schwere entspricht aber dem funktionalen Gepräge des gesamten Stiltyps.

Auch die sog. Amtspräpositionen dürfen innerhalb „ihres“ Stils nicht beanstandet werden. Gewiß gibt es vereinzelte Mißbildungen, die selbst im Rahmen eines offiziellen Dokuments unangenehm auffallen. Im großen und ganzen verhilft aber diese jüngste Schicht von Präpositionen und Präpositionalgruppen zum sprachökonomischen Ausdruck komplizierter logischer Beziehungen und zum Hervorheben der funktionalen Stilfärbung. Mit Unrecht wird z. B. in vielen Stillehrbüchern und Wörterbüchern die Präposition mangels (mit Genitiv) als „nicht gut“, als „papieren“ gebrandmarkt. In Wahrheit erfüllt sie ihre funktional-stilistische Aufgabe ausgezeichnet, sie konzentriert in einem Wort die Fügung: aus Mangel an...

Wenn ein Lehrer seinem Schüler zuruft:
Mangels Fleißes bleiben Sie hinter den anderen zurück!
erinnert diese häßliche, streife Formulierung an den Ton des Amtsbürokraten Professor Unrat. Heißt es aber bei Gericht:
Mangels überzeugender Beweise wurde der Angeklagte freigesprochen...,
so ist diese knappe Fassung stilistisch gut, weil zweckentsprechend.

Gewiß ist die Präposition infolge schwerfälliger als ihr Synonym wegen. Kaum wird man im Alltagsstil sagen:
Ich konnte infolge einer starken Erkältung nicht zur Arbeit gehen.

Hingegen schreibt man im besten Amtsstil:
Infolge der schon zwei Wochen anhaltenden Regengüsse besteht in den Donau-Auen Überschwemmungsgefahr.

Eine besonders wichtige Rolle im Stil des offiziellen Verkehrs spielen die Wort- und Wortgruppenklischees sowie die Satzklischees. Vielleicht könnte man auch von architektonischen Klischees sprechen, insofern die Gliederung der offiziellen Dokumente (oft auch der offiziellen Ansprachen) nach einem bestimmten Anordnungsschema genormt ist. All diese Klischees stehen im Zuge der Entpersönlichung, insbesondere im Bereich der Amts- und Handelskorrespondenz. Vgl. die Vordrucke für Geschäftsbriefe, Bankkontos, Zeugnisse verschiedener Art u. ä.

Die Klischees des zeitgenössischen deutschen Amtsstils unterscheiden sich von den Klischees früherer Perioden in diesem Stiltyp durch möglichste Gedrängtheit der sprachlichen Fassung. All die Floskeln und Klauseln, ohne die ein Geschäftbrief früher für unhöflich gegolten hätte, werden jetzt als Phrasenschwulst abgelehnt. Verschwunden sind im Handelverkehr die wohlgeboren und hochwohlgeboren, die löblich und hochlöblich; immer seltener werden Epitheta in Fügungen wie: Ihr geschätztes, wertes, geehrtes Schreiben vom 5.Jahnuar u. ä.

Der moderne amtliche Schriftverkehr schränkt die Anrede- und Grußworte auf ein Minimum ein (Werter Herr N.! ... Mit vorzüglicher Hochachtung... Mit besten Grüßen Ihr...). Tautologien und Pleonasmen, die ihren Ursprung in übergroßer Höflichkeit haben, widersprechen den Normen eines modernen gesunden Amtsdeutsch.

Die Stilnormen des gegenwärtigen deutschen Amtsstils verlangen Ausschaltung jeglicher Emotionalität – daher völliger Ausschluß expressiver Lexik und Phraseologie. Keinerlei bewertende Epitheta, keinerlei emotionale Idiome und Wortpaare, völlständiges Fehlen individueller Tropen, Vergleiche und Periphrasen. Selbst traditionelle Mittel der Bildlichkeit, die noch ihre Bildkraft bewahrt haben, werden gemieden.

 
     
   

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