Eine weitere Gruppe von stilistischen Verbindungsmöglichkeiten zwischen Wörtern, Wortgruppen, Sätzen und Absätzen bilden die verschiedenen Arten der Wiederholung. Auch die Wiederholung ist, ebenso wie die Aufzählung, ein altes und unentbehrliches Stilmittel der Sprache, von der primitivsten Äußerung angefangen bis zur höchsten Form der Dichtung, der wissenschaftlichen und publizistischen Prosa. Wiederholt wird das, was semantisch und emotional besonders unterstrichen werden soll. Der Ausdruckswert der Wiederholung, so verschieden auch ihre zahlreichen Erscheinungsarten sein mögen, ist immer der gleiche: höchste Eindringlichkeit.
Selbstverständlich schließen wir aus unserer Besprechung von vornherein solche Fälle der Wiederholung aus, die nicht als stilistisches Mittel (sei es in noch so primitiver Form) gelten können — solche Fälle, die als Zeichen sprachlichen Versagens, als Rettungsanker bei sprachlicher Ausdrucksarmut gewertet werden müssen.
Wir unterscheiden drei Gruppen von Wiederholung1, die in den einzelnen Stilen der Sprache zu verschiedenem Zweck, in verschiedenem Ausmaß „und mit verschiedenem Ausdruckswert verwendet werden:
I. die wortwörtliche Wiederholung, bei der ein Wort, eine Wortgruppe oder ein Satz mehrmals in vollständig gleicher Form —entweder unmittelbar hintereinander oder über bestimmte Abstände hin verteilt — wiederaufgenommen werden;
II. die variierte Wiederholung, bei der Wort, Wortgruppe oder Satz in irgendwie veränderter Form wiederauftauchen.
III. die synonymische Wiederholung, bei der nicht dasselbe Wort (Wortgruppe, Satz), verändert oder unverändert, wiederkehrt, sondern ein sinngleicher oder sinnähnlicher Ausdruck.
Zunächst über die wortwörtliche Wiederholung, die in folgenden Erscheinungsformen auftritt:
1. Echte Wiederholung, die älteste und einfachste Form der Wiederholung. Wörter, Wortgruppen oder Sätze werden ohne die geringste Veränderung unmittelbar hintereinander gereiht:
Aus. Aus. Aus.
Mit diesen erregt hervorgestoßenen Wiederholungen (zwischen Pausen) gedenken wir einer schönen oder, umgekehrt, einer schrecklichen Zeit, die eben ein jähes Ende genommen hat. Die Wörter (Kurzsätze) sind völlig gleich, aber jedes • aus kann in uns eine andere Erinnerung auslösen.
Die wortwörtliche Wiederholung ist ein typisches Merkmal der Volkspoesie und der volkstümlich stilisierten Dichtung:
Machet auf das Tor, machet auf das Tor, Es kommt ein Wagen gefahren! Wer sitzt darin? wer sitzt darin? Ein Mann mit rotem Kragen. Was will er denn? was will er denn? Er will den Hermann [beliebiger Name] haben.
(Kinderlied.)
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an! (J. W. Goethe. Erlkönig.)
Gegen diese echt volkstümliche Wiederholung ist die naiv erkünstelte Wiederholung als Ausdruck dadaistischen Gelalles (s. § 31) abzugrenzen. So etwa in einem Gedicht von Walter Heymann (1907):
Du — du — du —
Sieh mal, sieh mal, sieh mal!
Da — da — da —
Sieh mal, sieh mal, sieh mal:
Grün, grün, grün,
Blühn, blühn, blühn,
Sieh mal, sieh mal, sieh mal Dadada — dadada — da!
Solche Gedichte,sollen, wie die Dadaisten erklärten, nicht verstanden, sondern nur „erfühlt" werden.
Bei sachlich-nüchterner Darstellung (z. B. im Stil des Amtsverkehrs oder der Wissenschaft) wird die echte Wiederholung selten verwendet. An einer Hausmauer würde die folgende Aufschrift wegen ihrer emotionalen Fassung gewiß seltsam klingen:
Das Kleben von 'Plakaten ist strengstens, strengstens
verboten.
Der deutsche Gelehrte Henrik Becker setzt sich in einem Aufsatz zur „Wissenschaftlichen Sprachpflege"1 nachdrücklich für eine Änderung der bisherigen Methodik ein; im gerechten Eifer wird die Darstellung seiner Ideen weit expressiver, als sie sonst in der wissenschaftlichen Prosa üblich ist.
2. Antwortwiederholung im Dialog 2 (in den verschiedensten Intonatipnsvarianten):
Ist das Buch interessant? — Interessant, sogar sehr.
(Alltagsrede.),
Emilia: Lassen Sie uns fliehen, mein Vater! Odoardo: Fliehen? — Was hätt' es dann für Not? (G. E. Lessing. Emilia Galotti.)
Je nach dem Inhalt ändert sich die Intonation; auf jeden Fall aber stellt dieser Wiederholungstyp ein Wahrzeichen lebhafter Wechselrede' dar.
3. Unterbrochene Wiederholung (Anapher und Epipher), eine Wiederholung in bestimmten Abständen. Unter Anapher verstehen wir die Wiederkehr desselben Wortes oder derselben Wortgruppe an der Spitze mehrerer aufeinanderfolgende Sätze mit der gleichen Wortgruppe beginnen: „Es zogen..." Die Vielfalt der Einzelbilder, die den Verkehr auf den Landstraßen jener Zeit schildern, wird durch die Einheitlichkeit der Eingangsworte noch plastischer zum Ausdruck gebracht.
Die Anapher darf aber auch als führendes Stilmittel der Volksdichtung und der volkstümlichen Alltagsrede gewertet werden:
Da ward sie bestürzt... Da sprach sie... Da schlug er ihr ins Gesicht... Damachteer sich sichtbar... (Volksmärchen „Der König vom goldenen Berg".) ▲ |