Wortfolge


             
       
 
 
       
       
 
  Grammatik / Wortfolge
   
     
   
     
     
 

Unter stilistischer Wortstellung verstehen wir jede Anordnung im Satz, die zur nachdrücklichen Hervorhebung dieses oder jenes Satzglieds dient (entweder durch Intonation oder durch Veränderung der Wortfolge). „Das Ausdrucksbefürfnis drängt zur Abweichung von der Grundstellung, d. h., es drängt zur Abweichung von dem als normal empfundenen Satzplan der sachlichen Feststellung. “ Was ist aber im deutschen Aussagesatz die Grundstellung („Nullstellung“)? Was der als normal empfundene Satzplan? Das sind jene syntaktischen Gesetzmäßigkeiten, die sich im Laufe der Sprachentwicklung herausgebildet haben: Prädikat an zweiter Stelle (bei zusammengesetztem Prädikat – flektierter Teil an zweiter, unflektierter Teil an letzter Stelle); Subjekt überwiegend an erster Stelle; Dativobjekt vor dem Akkusativobjekt, beide überwiegend nach dem aussagenden Verb usw. Die noch nicht zu Ende diskutierte syntaktische Frage von der kommunikativen Aufgabe der Satzglieder („Gegebenes“ und „Neues“ im Satz; üblicheStellung: Gegebenes vor dem Neuen) kann hier nur insofern berührt werden, als es für das Verständnis der stilistischen Wortstellung unerläßlich ist.

Im folgenden werden die wichtigsten Möglichkeiten stilistischer Hervorhebung für jedes Satzglied getrennt untersucht, denn eine Verallgemeinerung der Fragestellung (stilistische Hervorhebung am Anfang oder Ende des Satzes schlechthin) erscheint unzweckmäßig. Wir beginnen mit den Hauptsatzgliedern.

Als übliche Stellung des Subjekts im einfachen erweiterten Aussagesatz gilt – in der Mehrheit der Fälle – die Anfangsstellung. Im nichtexpressiven Satz Der Vater ist heute zurückgekommen liegt der Akzent auf der Prädikatsgruppe (ist heute zurückgekommen); sie bringt das „Neue“ in Satz, während das Subjekt (der Vater) das „Gegebene“ ist. Soll aber semantisch-expressiv betont werden, daß gerade der Vater heute gekommen ist, mit anderen Worten: bedeutet hier das Subjekt das „Neue“ (in Anfangsstellung, vor dem „Gegebenen“), so kommt ihm besonders nachdrückliche Betonung zu: Der Vater ist heute gekommen. Die Emphase wird hier ausschließlich durch Intonation bewirkt. Eine derartige Betonung des Subjekts bei unveränderter Anfangsstellung wird hauptsächlich in der mündlichen Rede gebraucht. Auf schriftlichem Wege ist sie, falls keine graphische Unterstützung hinzukommt, nur aus dem Kontext zu erfassen. So beendet Goethe seine „Leiden des jungen Werthers“ mit den emphatisch betonten Schlußsätzen:
Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet.

Eine andere Form stilistischer Hervorhebung des Subjekts in Anfangsstellung entsteht bei Verbindung mit einem Prädikativsatz:
Der Vater ist es, der heute zurückgekommen ist.

Diese Formulierung klingt etwas feierlich-gehoben, eignet sich daher in erster Linie für den schriftlichen Sprachverkehr.

Am stärksten verbreitet ist die dritte Möglichkeit nachdrücklicher Betonung des Subjekts: in stilistischer Endstellung, also diametral zu seiner Nullstellung:
... und über mein Haupt, wie himmlischen Segen, goß seine süßesten Lyraklänge Phöbus Apollo. (H. Heine. Die Harzreise).

Damit findet der Gedankengang dieser Stelle (Kunst als Trösterin) seinen wirksamen Abschluß.

Die Lokalisation des Subjekts in Endstellung gilt oft als Mittel der Spannung (das Subjekt drückt in diesem Fall das „Neue“ aus). Wir wollen erfahren: Von wem, wovon wird eigentlich ausgesagt? Und erst der Satzschluß bringt die Entspannung:
Da – legte sich sanft um meine Hand und rührte mich bis ins weheste Mark wie junge Liebe so still und stark und warm, um meinen Hals gebogen, ein Arm. (R. Dehmel, Verwandlungen der Venus.) –
Und im zerrißen Himmel, voll von Heulen,
Stehn drohnden Fäusten gleich die schwarzen Säulen.
(E. Weinert. Madrid.)

Auch im sachlichen Ton der wissenschaftlichen Prosa wird durch das Aufsparen des Subjekts bis zum Schluß ein gewisses Spannungsmoment erzielt:
Für das Sich-Bewußt-Werden des jungen deutschen Bürgertums, das sich besonders in der Sturm-und-Drang-Zeit um 1770 ausprägt, ist bei der Hinwendung zum einfachen Volk charakteristisch das Interesse für das Volkslied... (W. Steinitz. Die volkskundliche Arbeit in der DDR.)

Die Lokalisation des Subjekts an dritter Stelle (hinter dem Prädikat) gilt heute schon nicht mehr als stilistisch betonte Stellung. Diese Inversion ist vollständig grammatikalisiert und dient gewöhnlich zur nachdrücklichen Hervorhebung des Satzgliedes, das in Anfangsstellung steht:
Heute und hier sprechen wir von dem Dramatiker William Shakespeare...

Nicht umsonst haben sich ja die besten Kritiker seit zweihundert Jahre der Aufgabe hingeben, und zwar in vielen Sprachen, über ein Dutzend seiner Meisterwerke jedes für sich zum Gegenstand von Studien zu machen... (A. Zweig. Shakespeare-Schattenriß.)

Zur nachdrücklichen Hervorhebung des einfachen Prädikats dient die Anfangsstellung. Diese Wortfolgeänderung (Prädikat an erster, Subjekt an zweiter Stelle) wirkt deshalb so stark, weil im Deutschen das aussagende Verb besonders streng an seinen Platz gebunden ist.

Eine solche stilistische Anfangsstellung findet sich im Stil des Alltags bei lebhafter Rede und Wechselrede oder in der schönen Literatur als Widerspiegelung des Alltagsgesprächs:
Geh ich da gestern durch die Stadt. Treff ich weißt du wen? (lebhafte Erzählung).
„Hast du verstanden?“ - „Nein, versteh ich nicht“ (Dialog).
„Gib dem Jungen Eier“, bestimmt der Großvater. „Er scharwerkt wie ein Alter, muß er auch essen, was ihm schmeckt.“ (E. Strittmatter. Tinko.)
„Janek?“ - „Bin ich. Das ist meine Frau, Anka. Bist du Wronski?“ - „Bin ich.“ (A. Seghers. Die Gefährten.)

Stilisierung im Volkston bezweckt Kuba, wenn er in dem Spottgedicht „Yankee doodle“ die Zeilen bringt: Singen alle kleinen Leute:
Yankee doodle, geh,
nimm Herrn Krupp als Siegesbeute
mit nach Übersee.

In älteren Sprachperioden war das aussagende Verb nicht unbedingt an den zweiten Platz gebunden. Daher begegnen wir noch in den Volksmärchen Satzeingängen wie:
Sprach der Vater: ...,
Fragte das Mädchen: ...,
sei es, daß die Märchenerzählerin tatsächlich alte sxntaktische Formen gebrauchte oder daß der Märchensammler bewußt archaisierte.

In stilistische Anfangsstellung wird gern der zweite Teil des zusammengesetzten Prädikats gesetzt, wenn er das „Neue“ enthält:
Fortgehen will ich! – Großartig ist der Erfolg.
(Alltagsrede.)
Montiert wird gegenwärtig das fünfte Geschoß am Hotel „Berlin-Tourist“ hinter der Karl-Marx-Allee.
(Kurznachricht in der „Berliner Zeitung“.)

Der expressive Ausdruckswert hängt vom Kontext ab, auf jeden Fall dient aber die stilistische Anfangsstellung als Signal, das den Gesprächspartner oder Leser aufhorchen läßt.

Einige Worte über die sog. Inversion nach „und“. Diese Anfangsstellung des Prädikats, in der schönen Literatur noch im ausgehenden 19. Jahrhundert gebraucht, hat sich heute nur im Kanzleistil und im Stil der Handelskorrespondenz erhalten, wird aber auch schon von dort als fehlerhaft verdrängt:
Habe Ihren werten Brief erhalten und teile ich Ihnen mit...

Wenn wir heute in der schönen Literatur die Anfangsstellung des Prädikats nach  „und“ antreffen, handelt es sich entweder um Stilisierung des Zeitkolorits oder um Sprachcharakteristik (Berufskolorit). An der folgenden Stelle im Roman „Buddensbrooks“ (Brief der Patrizierstochter Tony Buddenbrook an ihre Mutter) rufen wohl beide ganannten Gründe den Gebrauch der Inversion nach „und“ hervor – die Wahrung des Zeitkolorits sowie die Zeichnung Tonys als Sprößling einer Kaufmannsfamilie:

...denn Permaneder nahm mir dies Gemüse so übel (obgleich er die Korinthen mit der gabel herauspickte), daß er ganzen Nachmittag nicht mit mir sprach, sondern nur murrte, und kann ich sagen, Mutter, daß das Leben nicht immer leicht ist.

Stark emphatische Wirkung kommt dem Prädikat in stilistischer Endstellung zu. Hier haben wir ein traditionelles syntaktisch-stilistisches Synonym, ausschließlich in der Poesie verwendet. Besonders häufig findet sich diese Wortstellung in der Dichtung der deutschen klassischen Periode:
Und keiner den Becher gewinnen will.
Und der König zum drittenmal wieder fraget:
„Ist keiner, der sich hinunter waget?“
Doch alles noch stumm bleibt wie zuvor.
(F. Schiller. Der Taucher.)

 
     
   

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