Wortwahl


             
       
 
 
       
       
 
  Wortschatz / Wortwahl
   
     
   
     
     
 

Bei der Beschprechung der verschiedenen Bauelemente,aus deren zweckentsprechender Vereinigung der Stil mit seinem Ganzheitscharakter entsteht, kommt der lexikalischen Grundlage - der Wortwahl - besondere Bedeutung zu.

Von dem Charakter der Wortwahl hängt es zum groβen Teil ab, ob die Rede des Menschen klar oder verschwommen, wahrheitsgetreu oder verlogen wirkt; ob sie zündet oder kalt läβt, mitreiβt oder abstöβt. Gewiβ sind die konkreten Anforderungen an die Wortwahl verschieden, je nachdem, um welchen funktionalen Gattungsstil, um welchen literarischen Genrestil es sich handelt. Dennoch müssen wir, falls der Stil positiv gewertet werden soll, auf jedem beliebigen Gebiet des Sprachverkehrs die gleichen allgemeinen Attribute der Rede verlangen: Klarheit, Wahrheitstreue (d.h. Übereinstimmung des Ausdrucks mit dem Sachgehalt der Rede) und Schlichtheit. Gefordert wird «das treffende Wort». Jede Fügung, jedes Wort soll «sitzen», ins Schwarze treffen. Nur auf dieser Grundlage kann Überzeugungskraft der Rede entstehen.

«Die gröβte Deutlichkeit war mir immer die gröβte Schönheit», sagt Lessing im «Testament Johannis».Und Goethe meint, nur der könne einen klaren Stil schreiben, dem es zuvor klar in seiner Seele sei.

In einer Vorlesung über die «Gedankenkraft und Sprachgewalt bei Marx und Engels» nennt Otto Grotewohl Klarheit der Gedanken und  Überzeugungskraft der Sprache eine dialektische Einheit.

Unklarheit und Verschwommenheit der Wortwahl können auf zweierlei zurückgehen: Einmal zeugen sie von der Unreife des Gedankenmaterials, davon, daβ der Sprecher selbst seine Ideen noch nicht bis zu Ende gedacht hat. Zum anderen können sie auch als bewuβtes Stilmittel verwendet werden. Unschärfe der Formulierung dient oft als Tarnung, um nicht die Meinung geradeheraus sagen zu müssen. In diesem Sinn sind so manche Äuβerungen der sog. «unpolitischen» oder «überpolitischen» Literaturen, Kritiker und Wissenschaftler einzuschätzen:

Es wäre vielleicht nicht falsch, wollte man sagen...Einerseits fühlt man sich von den Vorgängen auf der Bühne magisch angezogen, andrerseits kommen Bedenken... Es handelt sich um eine bemerkenswerte Erscheinung der modernen Literatur, wenngleich ihr gewisse Mängel anhaften... Es mag nicht unberechtigt sein, zu fordern...

Die Theaterrezension, der die angeführten Bruchstücke entnommen sind, strotzt von blassen vieldeutigen Wendungen, von inhaltlich unmotivierten für und wider, einerseits und andrerseits; zur kraftlosen Lexik gesellen sich sinnabschwächende Konnzessivkonstruktionen und allerlei vorsichtige konjunktivische Fügungen. Nach einer ganzen Spalte fragt sich der Leser vergebens, welcher Meinung der Kritiker eigentlich sei. Das angeführte Beispiel ist typisch für die flaue, sich schlagmäβig windende Rede gewisser bürgerlicher Kreise, die in dem Wunsch, es «mit niemand zu verderben», jede Entschiedenheit in der Formulierung, jedes Werturteil vermeiden; das Gesagte soll nach Gefallen ausgelegt werden können.

Kein Zufall, dass Novalis, der Dichter romantischer Todesmystik, in seinem Roman «Heinrich von Ofterdingen» alles blau haben wollte, auch die Sprache. Denn blau ist die Farbe nebelhafter Ferne, unklarer Sehnsüchte (vgl. die romantische «blaue Blume»). Die Sprache schient also «blau», wenn ihre Konturen verschwimmen, wie die fernen Berge am Horizont.

Unklarheit und Verschwommen von Lexik und Phraseologie, verbunden mit Wortschwulst, können auch zur bewuβten Täuschung und Irreführung der Menschen gebraucht werden. Sie sollen dazu verhelfen, den wahren Sachverhalt zu verwischen, ja direkt zu entstellen.

Als im Juni 1957 fünfzehn Natorekruten bei militärischen Übungen in die Fluten der reiβenden Iller getrieben wurden, erklärten die verantwortlichen Stellen den sinnlosen Tod der jungen Menschen als «Folge einer tragischen Verkettung menschlichen Versagens mit dem Wirken von Naturkräften» - eine Phrase, deren verschwommener, heuchlerischer Wortschwulst die Bevölkerung über die wahren Gründe des Soldatenmordes hinwegtäuschen sollte.

Auf anderer Grundlage als die bisher besprochenen Erscheinungen beruht der sog. «äsopische Stil», wenngleich auch er – wenigstens teilweise – zur sprachlichen Verhüllung und Umschreibung greift. Gewiβ, auch Publizist und Dichter, die unter bestimmten gesellschaftlichen Umständen gezwungen sind, äsopische Haltung als Kampfmittel im Dienst des Fortschritts zu wahren, verbergen sich hinter der Vieldeutigkeit und «Verharmlosung» ihrer Wortwahl. Die äsopische Stilkunst in diesem Sinn gut handhaben – das heiβt, Mittel und Wege finden, um bei augenscheinlicher Verhüllung und Umschreibung dennoch die Übelstände der Wirklichkeit mit all ihren Zusammenhängen zu geiβeln. Durch geschickte Verwendung von mehr oder minder verständlichen Anspielungen (auf lexikalischer und phraseologischer Basis), durch Einflechten von einzelnen Schlag- und Stichwörtern, durch Gegenteilsumschreibungen und Doppelsinn wird das Mitzuteilende – trotz Vermeidung der offenen Aussage – dennoch richtig zu Bewuβtsein gebracht; Verhüllen und Aufdecken müssen Hand in Hand gehen.

Im Zusammenhang mit der Forderung nach Klarheit und Wahrheitstreue der Wortwahl steht auch die Frage der Schlichtheit und Knappheit sprachlicher Darstellung. Das Feilen am Stil, von dem alle groβen Dichter und Denker  aus eigener Erfahrung berichten, beruht zum groβen Teil auf dem richtigen Weglassen unwesentlicher Wörter und Fügungen, im Schärfen und Zuspitzen des sprachlichen Ausdrucks durch Vereinfachung und Kürzung. Die stilistische Feilarbeit führt zu dem Endergebnis, daβ jedes Wort als einzige passende Bezeichnung für bestimmte Sach- und Gedankenzusammenhänge an dieser oder jener Stelle des Satzes unentbehrlich wird. Kein Wort darf zu viel sein, keines darf aber fehlen.

Mit Unrecht versuchen manche Stilforscher detaillierte Regeln für einen guten Stil auszuarbeiten. So faβt z.B. Ludwig Reiners die erwünschte «Satzlänge» in eine feste Formel(ohne Hinweis darauf, daβ die Länge der Sätze von der jeweiligen Sprechsituation abhängt):«Im allgemeinen soll ein Satz nicht länger sein als 10 bis 20 Wörter. Die kurzen Sätze von 3 bis 4 Wörtern, das sog. Asthmadeutsch, sind künstlich und deshalb unschön. Sätze von 5 bis 10 Zeilen soll nur derjenige schreiben, der imstande ist, auch sie übersichtlich zu gestalten.»

Welche sprachliche Mittel in diesem oder jenem funktionalen Stil, in diesem oder jenem konkreten Zusammenhang zur Verwirklichung der stilistischen Grundforderungen (Klarheit, Wahrheitstreue, Schlichtheit) dienen, läβt sich nicht verallgemeinern. Stilnormen dieser Kategorie können nur innerhalb von engen Gattungs- und Genregrenzen mit bestimmter zeitlicher Bindung gegeben werden.

 
     
   

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