Wortwitz


             
       
 
 
       
       
 
  Wortschatz / Wortwitz
   
     
   
     
     
 

Der Doppelsinn ist ein Stilmittel, das seinen Ursprung der Mehrdeutigkeit des Wortes und der Homonymie verdankt. Außerhalb des Kontextes, isoliert betrachtet, kann ein Wort mehrdeutig sein. Das Substantiv Konl z.B. ist einerseits Bezeichnung für ein Gemüse (Weißkohl, Rotkohl, Blumenkohl u.a.), andererseits aber existiert im deutschen Sprachgebrauch auch noch die übertragene Bedeutung von Kohl als Unsinn (z.B. Kohl reden); allerdings ist diese übertragene Bedeutung mehr in der Umgangssprache verbreitet als in der Literatursprache. Mit dem Lautkomplex Kohl kann also sowohl die würtliche als auch die übertragene Bedeutung gemeint sein (wie die Erfahrung beweist, assoziiert man aber gewöhnlich mit der Nennung des isolierten Wortes seine wörtliche Bedeutung).

Dieselbe Erscheinung bezieht sich auch auf ganze Gruppen und stehende Wortverbindungen. So ist der Sinn der Redewendung  ein Hühnchen rupfen außerhalb des Kontextes nicht eindeutig festzustellen. Sie kann konkret und wörtlich gemeint sein (d.h. ein Huhn vor dem Kochen von seinen Federn reinigen); sie kann aber auch als phraseologische Fügung (ableitbares Idiom) übertragene Bedeutung haben: einen Streit mit jemand austragen.

Im Zusammenhang der geschloßenen Rede verliert das Wort (ebenso Wortgruppe und stehende Wortverbindung) seine Mehrdeutigkeit. Gesprächspartner, Hörer und Leser verstehen sehr gut, welche von allen potentiellen Bedeutungen im konkreten Fall Gültigkeit hat.

Der Doppelsinn  als stilistisches Mittel treibt, wenn man so sagen darf, sein Spiel mit der bloßen Möglichkeit falscher Auslegung; er baut gerade darauf auf und fordert mutwillig heraus, das Gesagte in  zweifachem Sinn zu verstehen.

Im “Bürgerspiegel” (Berlin, 1925), einer Sammlung satirischer Anekdoten, Epigramme, Verse und Glossen, wird erzählt, wie ein oppositioneller Reistagsabgeordneter in seiner Rede betonte, er habe nicht die Überzeugung gewinnen können, daß die deutsche Nation in der Produktion von Kohl hinter anderen Nationen zurückstehe. Der Sprecher tut, als ob er den Anwesenden freistelle, wie sie seine Worte auffassen sollen; dabei geht aus dem Großzusammenhang klar hervor, daß Kohl hier im übertragenen umgangssprachlichen Sinn und nicht in der logisch-gegenständlichen Grundbedeutung gemeint ist.  

Da der  Doppelsinn ein überaus sprachökonomischer Wortwitz ist, eignet er sich besonders für die Epigrammdichtung.

Selbstverständlich spart auch die Presse nicht mit Doppelsinn als Stilmittel. Nur ein Beispiel für viele:
Als die imperialistischen Westmächte nach der mißlungenen Besetzung Ägyptens darangingen, in den Jemen einzufallen (1957), stießen sie auch hier auf den Widerstand der einheimischen Patrioten. Im angeführten Zitat wird die Fiktion erweckt, als ob das Klima des Landes den Eindringlingen Schaden bringe;  gemeint ist natürlich nicht das Klima, sondern das Verhalten der Bevölkerung: eiskalte Schultern (jemand die kalte Schulter zeigen, d.h. abweisen), orkanartige Proteste (d.h. der Widerstand nimmt riesiges Ausmaß an), hinauswirbelnde Passatwinde (hinauswirbeln, d.h. vertreiben), tödlich-heißes Pflaster (d.h. der Boden unter den Füßen der Eindringlinge wird zu heiß und bringt ihnen den Tod).

Besonders liebt den Doppelsinn die Volksdichtung in ihrer schriftlichen und mündlichen Form. Die Scherze und Streiche des Volksbuchhelden Eulenspiegel beruhen zum  großen Teil auf Mißverstehen, d.h. auf einem Spiel mit verschiedenen Bedeutungen eines Wortes oder mit Homonymen.

Doppelsinn erscheint in den Volksstücken des österreichischen Dramatikers Johannes Nestroy als  beliebtes Sprachmittel kernigen Humors. So hören wir in der Zauberposse “Lumpacivagabundus” ein Gespräch zwischen einem plötzlich reichgewordenen Schneidergesellen und dem Maler, der ihn porträtieren soll:
Maler: Ihre Nase ist sehr schwer zu treffen.

Zwirn: Meine Nasen? Gar nicht. Schauen’s, mir hat voriges Jahr im Bierhaus einer ein Glas ins G’sicht g’haut, der hat meine Nasen sehr gut getroffen.

Die zweite Gruppe der Wortwitze, zu der eine große Zahl von Erscheinungsformen gehört, bezeichnen wir als Wortspiele. Wenn es sich beim Doppelsinn um ein- und denselben Lautkomplex handelt, der in zweifacher Bedeutung ausgelegt werden kann, so haben wir es hier mit  phonetisch mehr oder weniger ähnlichen Sprachgebilden zu tun. Zwei verschiedene Wörter werden auf Grund von Lautähnlichkeit irgendwie zueinander in Beziehung gesetzt: durch eine Änderung in der Wortbildung, durch phonetische Änderung, durch das Spiel mit den lexischen Elementen einer phraseologischen Fügung, durch verschiedene Arten der Kontamination, durch Häufung von Wörtern des gleichen etymologischen Stammes u.a.m.

Wenn Erich Weinert von der “deutschen Verwirtschaft” spricht und die Fürsten als erste “Verdiener des Staates” darstellt, so entsteht durch diese scheinbar geringfügige  Änderung in der Wortbildung die gewünschte Wirkung:der Wortwitz fügt sich ein in die gesamte Parodie auf Wilhelm II. und trägt dazu bei, die politische Satire zu vertiefen (Wirtschaft- verwirtschaften; Diener – Verdiener auf Kosten anderer). Vgl. auch in Heines “Harzreise”: “die Namen aller Studenten und aller ordentlichen und unordentlichen Professoren”.

Ein gutes Wortspiel finden wir bei Willi Bredel in der Erzählung “Fünfzig Tage” dort, wo er verschiedene Typen von Jugendlichen erwähnt: solche, die schnell mit der Tat, und solche, die schnell mit dem Wort bereit sind. Und in diesem Zusammenhang sagt:
Und die Lautesten sind nicht immer die Lautersten.

Auf den ersten Blick will es scheinen, als ob hier nur eine ganz geringfügige lautliche Änderung vor sich gegangen sei (Einschieben des “r”) , in Wirklichkeit aber handelt es sich hier um zwei Wörter von völlig verschiedener Semantik:
die Lautesten-  von laut (d.h. die den meisten Lärm machen); die Lautersten – von lauter (d.h. die Ehrlichsten).

Ein grausiges Wortspiel auf phonetischer Grundlage – ein erschütterndes Zeitdokument zugleich – ist die wührend des nazistischen Terrorregimes entstandene Entstellung des Wortes Konzentrationslager zu Konzertlager.

Im Volksmund sind Wortspiele auf Grund phraseologischer Fügungen beliebt, deren Komik durch Auseinanderreißen der zusammengehörigen lexischen Elemente entsteht:
“Was macht denn N.N.?” – “Was er macht? Einen schlechten Eindruck.”

Unter der Schreckensherrschaft der deutschen Faschisten entstand eine vielsagende Variante des Sprichworts Reden ist Silber, Schweigen ist Gold:
Schweigen ist Gold, Reden ist Dachau.

Bei Wortspielen auf Grund von Kontamination werden selbstständige Wörter mit irgendeiner zufälligen lautlichen Gemeinsamkeit (etwa eine gemeinsame Silbe) miteinander verschmolzen.

Oder E.Weinert: Bandithyramben (aus: Banditen und Dithyramben, d.h. Lobeshymnen der Nazidichter auf ihren Führer); Locarneval (durch die Kontamination von Locarno und Karneval gibt der Dichter seine Einschätzung des in Locarno unterzeichneten Vertrages).

Aber auch ohne lautliche Gemeinsamkeit können Wörter miteinander kombiniert werden, z.B. Journaille (abschätzige Sammelbezeichnung für Journalisten) aus: Journalist und Kanaille.

Im Volksmunde ist als kontaminiertes Scherzwort die Konjunktion nichtdestotrotz (aus: nichtsdestoweniger und trotzdem) entstanden. Man kann aber beobachten, wie dieser auf einem Wortspiel begründete Neologismus in die Figurensprache, ja manchmal sogar in die Autorensprache der schönen Literatur eindringt.

Die Erscheinungsformen der Wortwitze sind so mannigfach, daß sich in der Sprachwirklichkeit oft nicht feststellen läßt, in welchen Typ dieses oder jenes konkrete Beispiel einzugliedern ist. So etwa in der Losung:
Besser heute aktiv als morgen radioaktiv.

Derartige Aufschriften waren auf den Tafeln zu lesen, die die Teilnehmer einer machtvollen Demonstration für weltweite Abrüstung durch die Straßen von Wien trugen. Sprachlich gelesen, beruht das Wortspiel auf der Bedeutungsnuance des Wortes “aktiv” in der Antithese zwischen dem einfachen und dem zusammen-gesetzten Wort.

 
     
   

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